Just figuring
Jenni Fenko denkt nur … laut halt. 🤷 Nachfolgend ein paar meiner bescheidenen Gedanken zu diversen persönlichen Themen, die hiermit auch irgendwie aufgearbeitet werden …
Jenni Fenko denkt nur … laut halt. 🤷 Nachfolgend ein paar meiner bescheidenen Gedanken zu diversen persönlichen Themen, die hiermit auch irgendwie aufgearbeitet werden …
Regen
www.youtube.com/watch?v=WQH0-t6AP64
Lost …
Draußen regnet es. Nicht heftig oder stürmisch, aber kontinuierlich. Ein Tropfen neben dem anderen, andauernd folgen neue hinterher, unaufhörlich. Sie klopfen an die Scheibe, bitten um Einlass. Aber ich gewähre ihnen keinen, noch nicht.
In mir regnet es ebenso. Nicht heftig oder stürmisch, aber kontinuierlich. Eine Träne neben der anderen, andauernd folgen neue hinterher, unaufhörlich. Auch sie pochen an die Scheibe, wollen ausbrechen. Aber ich erlaube es ihnen nicht, noch nicht.
Es regnet. Draußen und drinnen. Und ich bin die Scheibe, die zwischen den beiden Regen steht. Draußen bilden sich Lacken, drinnen stauen sich Pfützen an. Und dazwischen ist die Scheibe. Dazwischen bin ich. Bis ich breche.
Sie sammeln sich, gruppieren sich, formieren sich, drinnen wie draußen. Zwei sich bildende Teiche, die sich zu einem See vereinen wollen. Doch ein stehendes Gewässer ist das Letzte, das ich gebrauchen kann. Denn ich stehe selbst schon viel zu lange still!
Verhalten beginne ich, mich zwischen den Regentropfen und meinen Tränen zu schaukeln. Genieße das leise Trommeln an und in mir. Wiege mich im Takt ihrer beider Begehren und steigere damit mein eigenes Verlangen. Denn ich weiß, was kommt, wenn die Scheibe birst.
Ein heftiger Sturm! Er wird aus mir brechen, nein, ich muss ihn aus mir herausbrechen und damit meine eigene Stagnation durchbrechen. Damit all meine Tränen ausbrechen und all die Regentropfen in mich eindringen und alles aus mir wegschwemmen können.
Reinigung. Innere Reinigung. Damit die Leere Platz macht für Fülle. Denn ich will gefüllt sein! Mit Wünschen und Träumen. Um Ideen gebären und Pläne schmieden zu können und sie dann wahr zu machen. Um wieder zu fühlen, zu leben, um wieder zu sein.
Die Scheibe schwingt. Ich tanze. Voller Freude, dass da doch ein Wunsch in mir ist und nicht nur gänzliche Leere. Und gleich darauf voller Wut, weil da nur ein einziger Wunsch ist, der in der Inhaltslosigkeit meiner selbst untergeht.
Wut ist gut! Besser als Resignation. Zuletzt brach ich aus purer Ernüchterung, als die Realität über mir zusammenbrach. Es war schwer, mich aus meinen leblosen Trümmern zu wühlen. Kraftlos, ohne Hoffnung, blind auf der Suche nach meinen Wünschen und Träumen.
Aber Wut gibt Kraft. Und Kraft sprengt die Scheibe. Lässt mich explodieren! Also wüte ich. Gegen jede einzelne meiner Tränen, gegen mich selbst, gegen die Scheibe. Ich schließe die Augen, denn ich kann diese still, leise und heimlich geweinten Tränen in mir nicht mehr sehen!
Ich tobe jetzt wie ein heftiger Sturm. Schleudere mich mit meiner Wut gegen die Scheibe, spüre den Aufprall und den Rückstoß, den Widerhall in mir selbst. Scheiß drauf, dieser Schmerz ist leichter zu ertragen als die schon viel zu lange andauernde Indolenz!
Zerreiße! Zersplittere! Lös dich endlich auf! Mein einziger Wunsch. Traurig, aber wahr. Doch heute lasse ich mich nicht von meiner selbst geschaffenen Melancholie unterkriegen, heute rebelliere ich gegen mich selbst und sprenge meine selbst gezogene Grenze!
Ich reiße die Arme hoch und die Augen auf. Jedes Bruchstück der Scheibe, meines Selbst, will ich in hohem Bogen von mir absplittern sehen, jede Träne mit einem Tropfen vermengt wissen, sie sollen alle ausgelöscht werden von dem Regen da draußen!
www.youtube.com/watch?v=qQVkAVWhxwY
Und dann breche ich. Endlich! Aus und ein gleichzeitig. Heftig und stürmisch werde ich übermannt. Von der Macht der Wut, die aus mir ausbricht, und der Gewalt des Friedens, der in mich strömt. Von der Kraft meiner Explosion und von der Ruhe der Szenerie, die sich mir darbietet.
Meine Splitter fliegen in Zeitlupe, vielleicht schweben sie auch eine Zeit lang, bevor sie wie ich zu Boden sinken. Sie sammeln sich an einer Stelle genau vis-à-vis von mir, gruppieren sich, formieren sich. Und die Regenlacke und die Tränenpfütze schwappen ineinander.
Die Tropfen vermischen sich, der Regen verwässert die Tränen, dann liegt der Weiher still vor mir. Und auf ihn fallen Schneeflocken, nicht heftig oder stürmisch, aber kontinuierlich. Eine Flocke neben der anderen, andauernd folgen neue hinterher, unaufhörlich.
Vor mir bilden sich Schneeblumen und Eiskristalle auf der Lache. Dahinter formt sich eine Gestalt aus den Teilstücken meines gesprengten Ichs. Füße, Beine, Schenkel, Schoß, Hüfte, Bauch, Brustkorb, Brüste, Schulter, Arme, Hals, Kopf, sogar Haar wächst heran.
Eine Frau. Und nicht irgendeine. Ich erkenne sie sofort. Ich bin es. Es bin immer ich am Ende des Weges. Mein wundervolles, starkes, ausgeglichenes Ich, das ich ab und an in mir verliere und das so lange danach schreit, wiedergefunden zu werden, bis ich nur noch zerbersten will.
Sie geht in die Hocke, ist damit mit meiner am Boden knienden Körperhülle auf Augenhöhe. Sie lächelt, als wäre nie etwas gewesen. Als hätte ich sie nie verlassen, in dem Glauben, auf dem richtigen Weg zu sein, direkt auf meine innere Leere zusteuernd.
Ohne sie bin ich nichts! Nur eine Auffangschale für meine Tränen. Innerlich tot. Aber mit ihr fühle ich, lebe ich, bin ich. Wir fühlen, wir leben, wir sind – eins. Eigentlich unzertrennlich, wenn da nicht manchmal mein Querkopf zwischen uns wäre.
Jetzt pflückt sie Blumen aus dem Eismeer, setzt sie liebevoll zu einem Strauß zusammen. Den hält sie mir entgegen und ich blicke auf meine verwässerten Tränen modelliert zu kunstvollen Eisgebilden. Unsere gemeinsamen Sehnsüchte zeichnen sich darin ab, funkelnd wie geschliffene Diamanten.
Ich greife danach. Greife nach ihr, nach unseren Träumen. Berühre den Eisblumenstrauß, berühre ihre gläserne Hand. Wärme durchströmt mich, von den Fingerspitzen über die Arme und die Schulter bis in den Brustkorb, fließt mitten hinein in mein Herz.
Sie flutet in mich. Ich liebe sie! Es ist so unendlich erfüllend, sie in mir zu spüren. Endlich wieder! Sie hat mir gefehlt. Ich selbst habe mir gefehlt! Denn gerade flute ich mich. Und ich liebe mich, genau jetzt! Unendlich erfüllend, mich zu spüren. Nach so langer Zeit endlich wieder!
Sie und ich verschmelzen ineinander, vereinigen uns inniger, als zwei Wesen es je könnten, denn sie erfüllt mich zur Gänze, lädt jeden toten Winkel in mir mit Energie voll, betankt mich mit Kraft. Und der Blumenstrauß in meiner – nein, in unserer Hand erblüht.
Mit Schwung springen wir auf, recken uns zum Himmel hoch, der Strauß fliegt in Zeitlupe, vielleicht schwebt er auch eine Zeit lang, bevor sich die zarten Blüten zu prächtigen Blumen wandeln und von ihren Stielen lösen. Vielleicht schwebe auch ich, unter einem Blütenmeer im Himmel.
Und dann regnet es wieder. Nicht heftig oder stürmisch, aber kontinuierlich. Blütenblätter neben Blütenblättern, ein Traum neben dem anderen, andauernd folgen neue hinterher, unaufhörlich. Sie klopfen an meine selig erfüllte Hülle, bitten um Einlass in mein Inneres … gewährt!
… Found
www.youtube.com/watch?v=2ntKJCoJNYY
© 01/2024 (Lost) + 05/2024 (Found) Jenni Fenko, all rights reserved
Blickwinkel
12.05.2024 – Tag 32
Manchmal ändert sich der eigene Blickwinkel gezwungenermaßen, ohne dass man aktiv die persönliche Sicht steuert. Manchmal sieht man sich neuen Gegebenheiten gegenüber, sie tauchen unvorhergesehen wie aus dem Nichts vor einem auf, obwohl sich wohl schon eine Zeit lang abgezeichnet hat, dass sie zutage treten werden, dass man unaufhaltbar auf sie zu peilt. Sie bauen sich wie eine riesige Leinwand vor einem auf und zeigen einen Film, den man eigentlich gar nicht sehen will. Verbauen den bisherigen Blick in die Weite oder auch einfach nur auf den kerzengeraden Weg vor sich, den man bis hierher entlanggelaufen ist. Man wird gezwungen, innezuhalten. Kein Weiterkommen, bis der Film zu Ende ist, bis der komplette Abspann durchgelaufen ist. Dann fährt die Leinwand hoch und der Blickwinkel hat sich verändert.
Was jetzt?
Ich lief diesen Weg entlang, seit Monaten schon. Ich habe ihn aus Pflichtbewusstsein gewählt, den langen, steilen, schnurgeraden, nicht sonderlich attraktiv wirkenden Weg, an dessen Ende ich mir meiner Erschöpfung gewiss war. Aber ich entschied mich für diesen Weg, weil ich es als meine Pflicht ansah, ebenso als eine kleine Prüfung für mich selbst, an deren Ende ich verausgabt sein würde, aber einen neuen Blickwinkel auf alles zu erlangen hoffte. Und ich wählte ihn als Abwechslung zu den stark verschlungenen, teils im Kreis verlaufenden und selten irgendwohin führenden Wege, die ich davor eingeschlagen hatte.
Kämpfe dich hoch, atme oben ein paar Mal tief durch und such dir dann einen verlockenden Pfad hinunter oder geradeaus oder noch höher hinauf oder auch mitten hinein in uneinsehbares Dickicht, wie du willst, wonach dir gerade dann ist. Du schaffst das, du hältst durch, und du kannst tun und lassen, was du willst, wenn du erst diesen Weg zu Ende gegangen bist. Das war mein Ziel, es war in greifbarer Nähe, als ich mich gezwungen sah, stehen zu bleiben.
Es war nebelig, schon seit Tagen. Ich war energielos, ich kämpfte mich mit meinen gefühlt letzten Kraftreserven Schritt für Schritt weiter voran und hatte dabei das Gefühl, rückwärts zu gehen. Das Ziel war bereits in Sicht und trotzdem entglitt es mir immer mehr, von Tag zu Tag rückte es weiter in die Ferne für mich. Was machst du, wenn du weißt, dass ein paar Meter vor dir etwas liegt, für das du gekommen bist, aber du nicht erfassen kannst, wie du es erreichen sollst? Aufgeben? Weiterkämpfen? Um Hilfe schreien? In die Knie gehen und weinen?
Ich tat alles. In einer anderen Reihenfolge. Zuerst kämpfte ich, ich kämpfte viel zu lange. Ich kämpfte 18 Tage nach dem ersten Anzeichen dafür, dass ich es wohl nicht schaffe bis zum Ziel. Ich schrie mehrfach um Hilfe, aber Hilfe ist immer relativ. Ein Powerdrink, der dich kurzzeitig pusht, aber keine stützende Hand, die dich bis hinter die Ziellinie geleitet. Am 18. Tag erkannte ich, dass ich aufgeben musste, ich ließ es zu, dass ich aufgeben durfte. Und am 20. Tag ging ich in die Knie und weinte, als ich wahrlich Hilfe bekam.
Ich bedanke mich bei den Ärzten und dem Pflegeteam der Klinik Ottakring für ihre echte Hilfe! Ich bedanke mich für das Bett in der Gastroenterologie, mit Blick aus dem Fenster in den freien Himmel. Ich bedanke mich für die vielen Kalium-Infusionen, die tagelang in mich flossen und meinem Körper wieder Kraft spendeten. Ich bedanke mich für die Kortisonkur, die mir die Schmerzen nahm, meine Entzündungswerte sinken und mich endlich wieder essen ließ. Ich bedanke mich für den Abstand zum „Leben“, der mir so selbstverständlich eingeräumt wurde. Ich bedanke mich für die Fürsorge, mit der ich bedacht wurde, und für jede Untersuchung, die ich im letzten Jahrzehnt ausgespart habe, weil anderes wichtiger war und ich nun mal nicht krank sein wollte, nicht mal wissen wollte, dass ich krank bin. Dabei bin ich es.
Die Leinwand zeigte es mir. Sie erinnerte mich daran, mit ihrem Horrorfilm. Ich weiß nicht mehr, wann genau sie plötzlich da war, die Leinwand, wann sie aus dem Nichts auftauchte. Eine Zeit lang schaute ich nicht hin, ich wollte nicht sehen, nichts wahrhaben. Doch dann erinnerte ich mich an den Film, der vor mir ablief. An die Zeit vor 13 Jahren. Es war die Hölle! Ich bin in der Hölle gewesen vor 13 Jahren, und als ich auf die Leinwand blickte, stand ich gerade im Torbogen zur Hölle und die eiserne Tür hinter mir ging bereits langsam zu.
Vielleicht war es Tag 18. Tag 18, an dem ich beschloss, aufzugeben, obwohl das überhaupt nicht meinem Naturell entspricht. Tag 18, an dem ich die Entscheidung traf, nicht weiterzukämpfen auf diesem Weg, weil eine neue Gegebenheit eingetreten war, schon an Tag 1. Und ich weinte an Tag 18. Ich weinte, weil ich erkannte, dass es so nicht weitergehen konnte, dass ICH so nicht einen einzigen Schritt weiter gehen konnte.
Obwohl ich Hilfe bekam und aus dem Höllentor entkommen konnte, spielte der Film weiter. Eigentlich war es ein neuer Film. Ein noch viel erschreckender als jener über Höllenqualen. Ein realistischer Film über die Zukunft, über die von vielen von uns, vielleicht auch über meine. Denn ich lag 9 Tage lang mit mehreren um die 90-jährigen Dahinsiechenden in einem Krankenzimmer. Ich sah sie aus dem Pflegeheim und der Palliativstation kommen und wieder dorthin zurückgehen, also liegend transportiert halt. Ich sah sie tagelang bewegungsunfähig in ihrem Bett, stillschweigend an die Decke starrend oder auch jammernd an der Bettdecke zupfend, nach Hilfe rufend für das Aufrichten des Kopfteiles zum Essen und das Absenken des Kopfteiles zum Schlafen. Ich sah, wie sie vom Pflegeteam im Bett gewaschen wurden, und ich fragte mich, wie sie wohl Zähne putzen würden. Bis ich realisierte, dass ein künstliches Gebiss in der Schale gereinigt wird.
Und irgendwann sah ich mich selbst als 70-Jährige – denn ich werde sicher keine 90 – in einem der Betten im Pflegeheim oder auf der Palliativstation, mit „Ausflügen“ zu diversen stationären Krankenhausabteilungen. Wenn ich gekonnt hätte, hätte ich geweint. Aber ich konnte nicht, ich war wie gelähmt. Ich kann erst heute an Tag 32 darüber weinen.
Mein Blickwinkel hat sich verändert. Gezwungenermaßen. Und auch wenn ich eine neue Sicht auf … alles … erreichen wollte durch den langen, steilen, kerzengeraden Weg, für den ich mich entschieden habe, so habe ich nicht mit DIESEM Blickwinkel gerechnet.
Also was jetzt?
Jenni Fenko
aktiver Morbus Crohn Schub seit 10.04.2024
4 Tage gar kein Essen, dann 16 Tage lang Kleinstportionen von Suppe, Toastbrot mit Butter und gekochten Kartoffeln
Notfallambulanz 18.04.2024 – gekrümmt von Bauchkrämpfen: CT zeigt entzündliche Darmwandverdickung, Jenni lehnt das angebotene stationäre Bett ab, weil sie schafft das nach den schmerzstillenden Infusionen schon
Notfallambulanz 20.04.2024 – Kontrolle: die Entzündungswerte trotz Medikamenten gestiegen statt gefallen
Hausarzt 26.04.2024 – nach nächtlichem Fieberschub: Hausarzt schickt Jenni ins Spital zur stationären Aufnahme
Notfallambulanz 26.04.2024 – Kalium grenzwertig, Express-Infusion erhalten, keine stationäre Aufnahme möglich, da keine Gastroenterologie-Abteilung vorhanden
28.04.2024 – im Büro: Jenni realisiert, dass sie so nicht weitermachen kann, sieht sich selbst bereits auf einer Liege im Büro im Stundentakt Pausen halten, in der Hoffnung, irgendwie wieder hochzukommen
29.04.2024 – TelCall mit Büro zur Krankmeldung: die Einführung des neuen EDV-Systems für das Unternehmen (der lange, steile, kerzengerade Weg, an dessen Ende ein neuer Blickwinkel entstehen sollte) wird wegen personellen Ressourcenmangels 10 Tage vor geplantem Projektumsetzungstermin auf Herbst 2024 verschoben
30.04.2024 – stationäre Aufnahme: auf das 2te Anraten ihres Hausarztes lässt Jenni sich per Taxi in die Notfallambulanz eines Spitals mit Gastroeneterologie bringen und bekommt ein Bett zugesprochen
01.05.2024 – Jenni isst wieder! Mit dem Wissen, dass Ärzte und Pflegedienst da sind und helfen können, isst Jenni seit 20 Tagen wieder, dank Kortison auch schmerzfrei.
Resümee an Tag 32:
9 kg Gewichtsverlust, hauptsächlich an den Beinen, die mich tragen sollen, erkennbar auch stark im Gesicht, das ich beim Waschen und Zähneputzen täglich sehe
gefühltes Alter der letzten Wochen: von 60 bis 100 auf 70, aber es geht schrittweise abwärts, bis ich wohl demnächst bei 49 angelangt bin, so alt werde ich nämlich in wenigen Tagen
ein leichter bis mittelschwerer Schub, lange nicht die Hölle von vor 13 Jahren, dennoch eine unvorhergesehene und krasse Blickwinkeländerung
der lange, steile, kerzengerade Weg hat kurz vor dem Ziel abrupt geendet und eine Ebene vor mir offenbart, einen Schritt von der Kante des Nach-hinten-senkrecht-Bergabs entfernt sichte ich gerade die zur Verfügung stehenden Pfade des Nach-vorne-schrittweise-Weiters
Abspann des Horrorfilmes durchgelaufen, in der Hauptrolle Jenni Fenko vor 13 Jahren; Abspann der Zukunftsvision durchgelaufen, in der Hauptrolle Jenni Fenko in 13 oder 15 oder 17 oder 19 oder 21 Jahren, wer kann schon so weit im Voraus denken … jetzt eine weiße Leinwand und ich darf den Film selbst wählen, ihn sogar selbst filmen
Und was jetzt?
bevorstehende Immunsuppressiva-Langzeittherapie mit Kortison, die 9 kg und noch mehr habe ich also schnell wieder oben, auch wenn ich das als Erstes an meinem Gesicht sehen werde
ein Gesund-Fühlen als Ziel, denn ein Gesund-Werden ist mit einer chronischen Krankheit nicht möglich, nur ein Beschwerdefrei-Sein; ich wünsche mir erneut 13 Jahre und sage tausendmal Danke für die letzten, weil ich damit in Wirklichkeit riesiges Glück hatte
Jenni Fenko an Tag 32 eines Morbus Crohn Schubes, Gejammere Ende. Weil ich ein Glückskind bin. Und wenn ich es schaffe, mir das ab sofort beim Waschen und Zähneputzen und dem Blick in den Spiegel vor Augen zu halten, dann bietet mein Leben Tag für Tag Stoff für mehrere wunderschöne Filme.
Ein Danke an Zoe, meine beste Freundin, die immer meine mentale Stütze ist, an guten und an schlechten Tagen. Deine Umarmungen fehlen mir, aber wir holen das asap nach – und es wird ein guter Tag werden, ein wahnsinnig guter Tag!
Ein Danke an K, meinen besten Freund, der eine Nacht lang in der Notfallambulanz meine Hand hielt und mich zum Lachen brachte. Ich weiß, dir geht es selbst dreckig, und ich bin keine große Hilfe. Du übrigens auch nicht immer, dennoch brauche ich dich, wie immer …
Ein Danke an meinen Mann und meine Tochter, die mir schon seit Monaten sagen, dass ich so nicht weitermachen kann. Aber ihr kennt mich: Ich mache das, was ich will, es wird sich nie ändern, es wäre sogar fatal, wenn es sich ändern würde!
So, jetzt einen Pfad aussuchen. Einen mit vielen Gabelungen links und rechts, ganz egal, wohin sie führen. Weil kerzengerade, steil bergauf und ewig lange mich offensichtlich viel schneller bricht als angenommen …
Ein bisschen was los
31.05.2024 – Tag 51
An Tag 53 höre ich auf zu zählen. Weil dann ein neuer Tag 1 beginnen wird. Ein guter neuer Tag 1, daran halte ich mich fest.
Mir geht es gut. Schon seit Tag 20 geht es mir besser. Die Ärzte sagen, ich bin krank. Ich weiß das, ich habe es für mich akzeptiert, keine Idee, an welchem Tag genau.
Da ist ein bisschen was los in mir. Über manches kann man hinwegsehen, aber anderes leider nicht ignorieren. Wenn du vom MRT heimkommst und schon die Anrufe in Abwesenheit vom diensthabenden Arzt am Display hast, kannst du dir nicht vormachen, dass alles in Ordnung ist. Also wieder zurück ins Spital, nur wenige Stunden nach der Untersuchung, die zeigte: Da ist ein bisschen was los in mir.
Schwaches Kortison sofort auf starkes geändert, weil die Entzündung doch schwerer ist, die 3fache Darmwandstärke und der „Ballon“ vor der entzündeten Darmpassage müssen schnellstens weg. Die Langzeittherapie wird deshalb allem anderen (da ist ein bisschen was los in mir …) vorgezogen. Und ich bemühe mich, mein Mondgesicht zu ignorieren, und kämpfe mit der Waage, weil der Heißhunger nicht unter Kontrolle zu kriegen ist. Aber über mehr kann ich gar nicht klagen. Und wer 13 Jahre lang alles ignoriert, darf nicht mal klagen!
Am neuen Tag 1 beginnt die Langzeittherapie. Ein recht neues Medikament, das meinem Morbus Crohn beibringen soll, dass er nichts zu melden hat, wenns nicht tatsächlich brennt. Und es brennt bitte nicht, denn ICH möchte ab sofort entscheiden können, wann es brennen darf! Ab Tag 1 neu dann mithilfe des Langzeittherapie-Medikamentes neu, ein Immunsuppressivum ohne Kortison, das Kortison wird nebenbei ausgeschlichen.
In knapp 4 Wochen ist eine OP angesetzt, die sich aus einer Nebendiagnose ergeben hat. Ich bin jetzt 49 und brauche meine Gebärmutter nicht mehr, jetzt, wo sie offensichtlich ausgedient hat. Ich wollte deshalb nicht weinen, weil es das Einzige von diesem „Da ist ein bisschen was los in mir“ war, mit dem ich mich sofort arrangieren konnte. Und trotzdem drängen gerade Tränen hoch …
Ich bin ein Glückskind, das ist mir bewusst. Meine Befunde werden umgehend nach den Untersuchungen angesehen und ich werde angerufen, weil da ein schwelendes Feuer gelöscht werden muss. Ich bekomme schnelle Rückrufe von Ärzten, die in Morgenbesprechungen sitzen, wenn ich mich mit Fragen melde. Da ist eine Infusion eines neuen Medikamentes mit vielversprechenden Wohlfühl-Aussichten auf Langzeitbasis für mich reserviert, über Nebenwirkungen jammere ich später. Und der Primar der Gynäkologie sichert sich für die OP einen Chirurgen, falls er unangenehm überrascht wird, wenn er meinen Bauchschnitt von vor 13 Jahren wieder öffnet.
Bin nur ich, Herr Primar! Glückskind Jenni Fenko, andere sind da lange nicht so gesegnet wie ich. Und ja, da ist ein bisschen was los in mir. Aber wir schaffen das! Sie und ich und alle die Ärzte und Ärztinnen, die an- und zurückrufen, weil es ein bisschen brennt. Und als Brandbekämpfungsmittel tauschen wir das Kortison gegen das Langzeitmedikament. Wir schaffen das! Ich schaffe das …
So, und jetzt weine ich. Ist wohl wirklich ein bisschen was los in mir …
Mein Himmelsritzer
Mein Himmelsritzer – Skyrizi®
03.06.2024
Heute Vormittag in der Klinik, während der 1. Infusion mit Skyrizi®, dem Langzeittherapie-Medikament … ein paar Zentimeter unter dem Himmel, nach nem sanften Ritt dorthin mit Jenni, dem Einhorn:
Was wünschst du dir, dass der Himmel ausspuckt, wenn du ihn gleich anritzt? Konfetti? Glitzerstaub? Sonnenstrahlen?
Frieden. Inneren Frieden.
Und was hast du mit, um den Himmel anzuritzen?
Nichts. Nen Kuli, ein Feuerzeug, vielleicht wo nen Zahnstocher, meinen Schlüssel.
Nimm den Kellerschlüssel, Süße. Der ist symbolisch.
—
Innere Ruhe für einige Sekunden, während die automatische Türe zur Ambulanz der Gastroenterologie kurzfristig nicht in Bewegung ist und gerade niemand telefoniert … wie ein Stillstand der Welt.
Vergiss nicht zu atmen.
Keine Angst, ich kriege keinen Panikanfall.
Atme trotzdem.
—
Es ist jeden Moment vorbei und nichts ist gewesen. Meine Finger sind angeschwollen und ich bin müde. Aber sonst nichts. Lächerlich. Es ist lächerlich, dass ich mich so angeschissen habe vor dieser Infusion. Ich bin lächerlich.
Nicht weinen.
Ich bemühe mich.
—
Ich will dableiben, direkt unterm Himmel mit Sonne, Konfetti, Glitzer und innerer Ruhe.
—
Tropf, tropf, tropf … troooopf.
Der letzte Tropfen. Dann im Auffangbehälter sinkend und den Schlauch hinunterkriechend, in Zeitlupe wandernd. Zehn Zentimeter lang, dann aus. Skyrizi® steht im Schlauch, rinnt nicht mehr in mich. Verschwendung. Ein unvollständiger Kleinwagen in mir.
Hauptsache, er fährt.
—
Vier Wochen, dann die nächste Infusion.
Ruhe.
Alles gut.
—
„Hallo!“ Winke-Winke von nem Mädchen mit nem breiten Lächeln, sie hält mir die Türe auf.
Mir geht’s gut, auch wenn ich zur Sicherheit noch ne Stunde bleiben soll. Ich mach ne halbe draus.
—
Ein leerer Warteraum eine Abteilung weiter. Zehn Minuten Genuss der Ruhe, in hellerer Umgebung, auch wenn das hier nach nem uralten Waschsaal aussieht. Ein Spiegel. Und darin … eine schöne Frau. Trotz Mondgesicht. Auch wenn sie gerade nicht lächelt …
—
Skyrizi®, Biologika gegen Morbus Crohn
Jenni Fenkos Therapie seit 03.06.2024
Kosten pro Infusion lt. Internet: ein austattungsarmer Kleinwagen … oder doppelt so viel, wie mein voll ausgestatteter Gebrauchtwagen gekostet hat … Kosten für Jenni Fenko: Rezeptgebühr € 7,10 …
Jenni Fenko ist wirklich ein Glückskind …
© 2024 Jenni Fenko
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